Am letzten Donnerstag vor den Weihnachtsferien hatten einige SchülerInnen des Gymnasiums Neckartenzlingen die Möglichkeit, an einem Skype-Interview mit Glacier Kwong, einer der führenden Aktivistinnen der Demokratiebewegung in Hongkong, teilzunehmen.
Im Rahmen des Wirtschafts- beziehungsweise Gemeinschaftskundeunterrichts wurde im Vorfeld des Interviews die Situation in Hongkong besprochen. Seit Monaten demonstrieren Hunderttausende in der chinesischen Sonderverwaltungszone für die vollständige Aufrechterhaltung der ihnen zustehenden Rechte. Die ehemalige britische Kronkolonie im Osten der Volksrepublik wird seit ihrer Rückgabe an China im Jahr 1997 unter dem Prinzip „One country, two systems“ liberal und weitgehend unabhängig von Festlandchina regiert. Immer wieder keimte in der Vergangenheit der Wunsch nach mehr Demokratie, Freiheit und politischer Mitbestimmung auf. Ein geplantes Auslieferungsgesetz löste im Sommer dieses Jahres eine Welle des Protestes aus, die sich in den folgenden Monaten zu einer der umfangreichsten Demokratiebewegungen in der Geschichte Hongkongs entwickelte. Auch Glacier Kwong, die sich aktuell für ihr Studium in Hamburg aufhält, ist Teil dieser Bewegung. „One country, two systems“ sei keine dauerhafte Lösung, man müsse den Wunsch der Menschen nach Demokratie und Freiheit hören, so Kwong.
Auf die Frage, ob sie denkt, dass sie auch von Deutschland aus etwas bewegen könne, antwortete sie mit einem klaren Ja. Sie sieht es als ihre Aufgabe, die Menschen in Deutschland und in aller Welt auf die Geschehnisse in Hongkong aufmerksam zu machen. Zeichen der Solidarisierung und des Verständnisses seien von großer Bedeutung für die Demonstranten.
Auch die internationale Politik habe die Macht, etwas zu verändern. China könne nicht unabhängig von allen anderen agieren, so ist auch die Volksrepublik auf Waren und Dienstleistungen aus dem Ausland angewiesen. Sie begrüßt es daher sehr, dass in Deutschland viel über die Menschenrechtsverletzungen in ihrer Heimat gesprochen wird. Man müsse China in die Schranken weisen und ihre Vergehen und Verstöße gegen internationale Abkommen nicht länger ignorieren. Zu den Diskussionen, ob die chinesische Firma Huawei am Ausbau des 5G- Netzes in Deutschland beteiligt werden sollte, hat Kwong ebenfalls eine klare Meinung: Ihr sind Privatsphäre und Datensicherheit wichtiger als die Geschwindigkeit des Internets. Man könne sich aufgrund der Gesetzeslage in der Volksrepublik nie sicher sein, ob China in solchen Fragen vertrauenswürdig ist.
Welche Rolle spielt die Polizei bei den Protesten?
Einige Fragen drehten sich um die Proteste in Hongkong und die Rolle der Polizei vor Ort. Glacier Kwong kehrte dieses Jahr für eine Zeit nach Hongkong zurück und nahm dort selbst an einigen Demonstrationen teil. Sie meinte, dass die Proteste in Hongkong im August friedlicher gewesen seien als die im November. Bei den Protesten, bei denen sie dabei war, habe sie sich nie sicher gefühlt. Laut ihrer Aussage wurde man auch beim Verlassen der Demonstrationen noch mit Tränengas und so weiter von der Polizei angegriffen, ebenso wären auch Journalisten und sonstige Helfer damit beschossen worden. Hinzu fügte sie, dass es die Polizei nicht interessiere, ob man Demonstrant oder Passant sei. So wären ihr einmal als Passantin von der Polizei unfreundlich Fragen gestellt worden, und schließlich sei sie noch von einem männlichen Polizisten abgetastet worden, was dem Gesetz widerspreche. Klare Kritik übt Kwong daran, dass die Leute, die beim Protestieren Molotow-Cocktails et cetera einsetzen, bestraft werden, die Polizisten dagegen für ähnliche Taten keine Konsequenzen zu erwarten haben. Außerdem erzählte sie noch, dass im Fernsehen nicht alles gezeigt werde, da die Proteste ohne die Provokationen der Polizei friedlich verlaufen seien. Es gebe viele friedliche Zeichen des Protestes, die nicht anerkannt würden. Auf die Frage, was es mit den Gerüchten rund um die Chinesen in der Polizei Hongkongs auf sich hätte, antwortete sie, dass es dafür keine eindeutigen Beweise gäbe, jedoch wäre bei den Protesten aufgefallen, dass manche Polizisten in Mandarin statt in dem in Hongkong üblichen Kantonesisch herumgebrüllt hätten. Da man Kantonesisch sprechen muss, um in Hongkongs Polizei zu kommen, wirke dies verdächtig, weshalb sie davon ausgehe, dass Chinesen in ihrer Polizei seien.
Auch ihre Motive, sich als Aktivistin an den Protesten zu beteiligen, erläuterte sie. Kwong habe drei Beweggründe: Sie könne nicht mitansehen, wie ihre Freunde verletzt werden. Ihr zweiter Grund seien ihre zwei kleinen Neffen, denen sie es ersparen möchte, ebenfalls für eine bessere Zukunft protestieren zu müssen. Ein weiteres Motiv wäre ihr Gefühl, dass das, was momentan in Hongkong passiert, falsch sei. Sie habe schon in ihrer Kindheit von ihrem Vater gelernt, wenn etwas falsch sei, müsse es korrigiert werden. Sie versuche nur, die jetzige, aus ihrer Sicht, falsche Situation für die Zukunft zu verbessern. Die Schüler*innen des Neckartenzlinger Gymnasiums wünschen ihr nach diesem spannenden Gespräch bei diesem Vorhaben und für ihre persönliche Zukunft nur das Beste.
Von Laura Mattern und Nicola Puggé